Station 6: Die Mauerstraße
(Zum Ton)
Wiege der Weilburger Kultur- und Bildungstradition
Auf der rechten Seite steht das ehemalige Gymnnasium Philippinum. Eine freie Lateinschule wurde in Weilburg schon 1540 errichtet, die 1764 die Bezeichnung Gymnasium erhielt.
Gegenüber befindet sich der Komödienbau, ein früher herzogliches Theater, das später für die Zwecke des Gymnasiums übernommen wurde.
Noch heute ist Weilburg stolz auf eine Reihe von großen historischen Persönlichkeiten, die in diesem Gymnasium “die Schulbank drückten“, z.B.:
- Johann Philipp von Schönborn, Kurfürst von Mainz und Reichskanzler (geboren 1605 in Laubuseschbach bei Weilburg), der den Start der Schönborns in die deutsche Reichs- und Kunstgeschichte meisterte,
- Heinrich von Gagern, Sohn des Weilburger Regierungspräsidenten und Präsident der ersten deutschen Nationalversammlung in Frankfurt, sowie
- Wilhelm Heinrich Riehl, einer der Gründer der deutschen Volkskunde (Vorläufer der Soziologie).
„Die Idylle eines Gymnasiums“, Novelle von Wilhelm Heinrich Riehl
Wir lassen Riehl selbst zu Wort kommen:
„Ich erzähle von einer fernen, märchenhaften Zeit, wo es noch ein Vergnügen war, Gymnasiast zu sein, und wo ein Gymnasium noch für ein Ding galt, welches sich von selbst verstand.
Das Gymnasium war noch keine „Frage“. Vielleicht ist es dann auch ein Vergnügen, von der Idylle eines Gymnasiums jener Zeit zu lesen. Ort der Handlung ist Weilburg an der Lahn; Zeit der Handlung 1837 – 41, d. h. die Zeit, da ich selber dort auf den Schulbänken saß.
Das Weilburger Gymnasium war damals viel vornehmer als heutzutage; denn es war das einzige im ganzen Herzogtum Nassau. Es bestand nur aus den vier Oberklassen, und da sich die Unterklassen in den Pädagogien (Lateinschulen) anderer Städte befanden (in Wiesbaden, Dillenburg und Hadamar), so waren die Weilburger Gymnasiasten lauter junge Herren.
Von zweien unsrer Lehrer sagte man, dass sie bei günstigerem Geschick wohl würdig gewesen wären, das Katheder einer Universität zu zieren. Kein Wunder, dass sie beim Unterricht ihrer Primaner mitunter verfuhren, als ob sie Studenten vor sich hätten, und dass dann diese Primaner sich selbst auch als halbe Studenten betrachteten.
Nur verfielen wir dabei nicht in die äußerliche Nachahmung studentischer Sitten, weil wir in der abgelegenen Lahnstadt deren Vorbild nicht vor Augen hatten.
Wir trugen keine farbigen Bänder und Mützen und bildeten keine heimlichen Korps, die bereits in Fühlung mit den Verbindungen irgendeiner Hochschule gestanden hätten, wie dies bei den Gymnasiasten einer Universitätsstadt zu geschehen pflegt. Wir wollten Gymnasiasten sein, aber – sehr gelehrte Gymnasiasten.
Die Gymnasiasten „erfreuten sich eines viel unabhängigeren Lebens als zu Hause und atmeten auch in diesem Sinne bereits etwas akademische Luft, wenn sie mit 14 oder 15 Jahren zum ersten Mal zu den Toren der Musenstadt einzogen.
Zu allen diesen Besonderheiten gesellte sich der überaus eigenartige Charakter der Stadt. Die Altstadt liegt auf einem mächtigen Felsenrücken, der auf drei Seiten von der Lahn umflossen ist und nur auf der vierten Seite durch einen schmalen Grat mit den angrenzenden Höhenzügen zusammenhängt. Die Neustadt jenseits des Flusses bestand vor 60 Jahren nur erst aus wenigen Häusern. Also eine Stadt auf Felsen, eine Stadt auf einer Halbinsel! und Fels und Wald ringsum. Man war zugleich in der Stadt und auf dem Lande.
Man konnte an sechs Tagen sechs Nachmittagsspaziergänge machen und jedes Mal bequem eine andere Burgruine erreichen.
Welche Fülle der Romantik für jugendliche Gemüter! Die Stadt ist architektonisch beherrscht von dem alten Fürstenschlosse mit seinem „Lustgarten“, der sich auf Terrassen über dem Felsenboden erhebt. Von der oberen Lahnseite erscheint das Schloss wie eine verfallende deutsche Burg und von der unteren wie ein französischer Fürstensitz aus den Tagen Ludwigs XIV.
Ähnlichen Doppelcharakter zeigen die alten Gassen der Stadt und der Marktplatz. Und die Landschaft weithin stimmt gleichfalls dazu: beim kürzesten Gange wechselt die Szene, bald lieblich, bald grotesk romantisch; jedes Tal, jede Höhe überrascht mit einer ganz neuen Ansicht, und selbst die Gesteinsarten, die dem Boden entsteigen, reihen sich in bunter Vielgestalt hart aneinander: Marmor und Basalt, Porphyr, Grünstein, Schalstein, Grauwacke, Tonschiefer.
Auch die sozialen Zustände der Kleinstadt gaben das Bild bunter Mannigfaltigkeit auf kleinstem Raum.
Weilburg hatte damals noch gar keine Industrie, aber das Land ringsum wimmelte von kleinen Eisen- und Braunkohlengruben, und in weiterem Ringe sandten stattliche Hüttenwerke ihre Rauchsäulen in die Luft.
Die Stadt war nicht bloß Gymnasialstadt, sie war auch Militärstadt, mit einem Bataillon Infanterie auf 2400 Einwohner, Beamtenstadt, eine Stadt des kleinbürgerlichen Gewerbes, und vor allem die alte, erst seit zwanzig Jahren verwaiste Residenzstadt, die sich schon von fernher durch die majestätischen Lindenalleen ankündigte, welche zu ihren beiden Toren führten.
Es war die Welt im Kleinen, welche uns Gymnasiasten so vielseitig anregend umgab. Ich halte es für ein günstigeres Geschick, wenn wir in jungen Jahren die Welt im kleinen kennen gelernt haben, als wenn die große weite Welt schon frühe unsre Augen verwöhnt und blendet.“
(Quelle: Wilhelm Heinrich Riehl: Die Idylle eines Gymnasiums, hrsg. vom Leistungskurs Geschichte 12/1995 am Gymnasium Philippinum Weilburg, Weilburg 1995.)
Wenn Sie Ihren Blick nach oben auf den gegenüberliegenden Wald richten, fällt ihnen ein Turm (Kranenturm) auf.
Orientiert am Kranenturm werfen Sie – links an den Treppen zur Lahn - einen Blick hinab auf den Fluss, wo Ihnen eine kleine Brücke auffällt. ZUM MENUE